… denn sie wissen nicht, was sie tun…
von Renato Pfeffer

Chancen und Risiken der direkten Demokratie haben sich an der Gemeindeversammlung in Richterswil exemplarisch gezeigt. Es ging um das Budget 2016 und um eine Steuerfusserhöhung um 9% von 104% auf 113%.
Schon eine halbe Stunde vor der Gemeindeversammlung war der untere Teil der Kirche voll. Noch nie habe ich eine solch gut besuchte Gemeindeversammlung erlebt – und noch nie war nach meinem Befinden eine Bevölkerungsschicht dermassen stark übervertreten. Nachdem zusätzliche Stühle aufgestellt wurden, begann unser Gemeindepräsident mit der Begrüssung. Es wurden 920 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gezählt. Im Verlauf des Abends kamen noch mehr dazu.
Das Budget wurde präsentiert und gezeigt, dass man nicht noch mehr zu sparen vermag. Die Investitionen der letzten 7 Jahre wurden immer aufgeschoben und müssen jetzt getätigt werden. Brisant ist: vor diesen 7 Jahren war der Steuersatz auch auf 113%.
Spätestens nach dem müden Gelächter der grossen Mehrheit über die Höhe des Steuerbetrags, der ein Familienhaushalt mit steuerbarem Einkommen von 50'000 CHF mehr bezahlen müsste, war klar: hier sitzen wenige mit so geringem Einkommen. Bei dem Betrag von 150'000 CHF blieb es still. Höher hätte man wohl auch noch gehen können. Bei genannten Folgen für die Schule folgten Gelächter, Pfiffe und Buh-Rufe. Aus dieser Perspektive verlief auch der Rest der Versammlung. Ein prominenter Rechtspolitiker stellte gar den Antrag, die Steuern nicht zu erhöhen, sondern um 1% zu senken. Er weiss, wie man Wähler gewinnt. Und offensichtlich auf Kosten der Schule und der Infrastruktur in der Gemeinde spart.
Unser Ortspräsident musste viele Rechtsmittelbelehrungen machen: Z.B. dass es nicht möglich sei, Volksentscheide über reguläre Urnen-Abstimmungen an einer Gemeindeversammlung durch einen Antrag rückgängig zu machen. Dass er gerade diese Belehrung mehreren Personen wiederholen musste, zeigt, wie aufmerksam den allgemeinen Ausführungen gefolgt wurde. Dies und noch manch weitere Meldungen zeigten, dass die wenigsten eine Ahnung davon hatten, um was es überhaupt ging. Sie wussten lediglich, dass Steuern um 9% erhöht werden sollten. Dem Unwissen entsprach auch der Rückweisungsantrag, welcher mit über 500 Stimmen den Abend frühzeitig beendete und meinem Votum zuvorkam. Der Gemeinderat wird beauftragt, das Budget neu auszuarbeiten – und voraussichtlich wird dieses neue Budget im März kommenden Jahres wieder für Zündstoff sorgen. Dass der mehrheitlich bürgerliche Gemeinderat sagte, dies ändere nichts an der finanziellen Situation, kümmerte die 500 Stimmbürger nicht. Und wohl auch nicht, dass dies kaum etwas an dem Vorschlag von 9% Steuererhöhung ändern wird. Da hätten andere Anträge gestellt werden müssen.
Als die Bänke sich lichteten, habe ich mit so manchem politisch interessierten Bürger oder Gemeinderat gesprochen, die sich schon lange in der Lokalpolitik z.T. auch in einer Partei einsetzten. «Das hat man davon, wenn man Leute entscheiden lässt, die keine Ahnung von der Sache haben.» war eine Äusserung. Meine Gedanken: Geld regiert, solange man nicht auch die grosse Unter- oder Mittelschicht mobilisieren kann. Bei regulären Abstimmungen geht das gut. Bei solchen Gemeindeversammlungen zeigen sich dann aber auch die Risiken der direkten Demokratie.
Für Auskünfte
Renato Pfeffer, Jugendsekretär *jevp Kanton Zürich: 079 787 56 05, E-Mail schreiben